Sonntag, 05. Juli 2020

Gedanken zum Wochenspruch:

„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“  Galater 6,2

Ja, wenn das so einfach ginge. Neben dem, was mir als eigene Last auferlegt ist - das ganze Arbeitspensum einer Woche, nebenbei Haushalt und Familie – dann auch noch die Last des anderen tragen?  Oder ist mit dieser Aussage vielleicht etwas anderes gemeint? Statt Lastenübernahme vielleicht Lastentausch? Soll ich die Last des anderen tragen und dieser die meine? Naja, auch nicht gerade überzeugend! Eine dritte Deutung bietet mir die wunderbare Geschichte von Janosch an. Der Kinderbuchautor erzählt von einem Tiger und einem Bären, die einen Schatz finden.

Die Geschichte geht so:

Einmal hatte der kleine Bär den ganzen Tag im Fluss geangelt, aber keinen einzigen Fisch gefangen. Und so gab es nur Blumenkohl aus dem Garten, mit Kar­tof­feln, Salz und etwas Butter dazu. Da sagte der kleine Tiger: "Weißt du, was das größte Glück der Erde wäre? Reichtum. Dann hättest du mir heute zwei Forellen kaufen können. Forellen sind nämlich mei­ne Leib- und Königsspeise.“

Und so fangen sie an zu träumen, was sie alles hätten, wenn sie reich wä­ren. "Komm", sagt der kleine Tiger, "wir fin­den einen Schatz!" Sie machen sich also auf und graben in der Erde nach Geld und Gold. Sie erfahren vom Maulwurf, dass das Glück nicht unter der Erde ist und vom Löwen, dass das größte Glück ist, wenn man Kraft und Mut hat.  Das Huhn meint, dass das Glück auf der Straße liegt und der Esel, dass es in der Fer­ne ist. Der Mann im Motorboot sagt, dass das Glück nicht auf dem Meeresboden liegt. Und so ma­chen sie sich auf den Heimweg. "Warum gehst du denn so krumm, Ti­ger" fragt der kleine Bär. "Weil ich so unglücklich bin", sagt der kleine Tiger. "Weil wir keinen Schatz gefunden haben." "Dann steig auf“, sagt der kleine Bär, "ich trage dich ein Stückchen." "Warum gehst du so krumm?" fragt der kleine Tiger. "Weil du so schwer bist“, sagt der kleine Bär. "Dann blieb‘ ste­hen, jetzt trage ich dich ein Stückchen."

Und so trug wieder der Bär den Tiger, und dann wieder der Tiger den kleinen Bären. Jeder einmal, bis es Abend wurde. Nachts schliefen die beiden unter einem großen Baum. Und als sie am nächsten Morgen aufwachten, da sahen sie, dass sie unter dem Baum mit den gol­denen Äpfeln geschlafen hatten. "Ja, ja“ sagte der alte Uhu "so ist das. Da laufen sie über die ganze Erde und su­chen das Gold unten. Und wo fin­den sie es dann? Oben. Alles ist meistens anders als man denkt."

Ihren Schatz tragen sie nach Hause, aber er zerrinnt ihnen unter den Fingern. Die Bank behält die Hälfte ein, der Beamte des Kö­nigs ver­langt für das Geld Steuern und ein Räuber stiehlt ihnen den verbliebenen Rest. Und nun sind sie ganz geknickt und der Tiger geht wieder krumm. Aber sie haben ja einander und jetzt können sie sich wieder gegenseitig tragen. Denn man kann nur eines tragen: seinen Korb mit Gold oder seinen be­sten Freund. Und so tragen sie sich. Zu­erst der Bär den kleinen Tiger, dann der Ti­ger den Bär. Kein Streit mehr und keine Prügel um das Geld. Kein Korb, der von oben schwer auf die Schulter drückt, und kein Beamter des Königs, der ihnen die Hälfte we­gnimmt. Sie sind glücklich. -

Ob der Apostel Paulus das gemeint hat, als er diesen Satz an die Galater geschrieben hat? Die Tragfähigkeit einer Gemeinschaft zeigt sich, wenn der eine nicht mehr kann, an seine Grenzen kommt und der andere dann da ist und unterstützt. Eine Gemeinschaft, die miteinander unterwegs ist, ein gutes Team, wo keiner Angst haben muss, auf der Strecke zu bleiben. Das könnte ein Weg sein, gut miteinander weiterzukommen.

„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ 

Ihnen allen eine bewegende und hoffnungsvolle Woche!

Ihre Pfarrerin Heike-Andrea Brunner-Wild