Andacht für die Woche

Andacht zum 30. August 2010 12. So. n. Trinitatis

Das gekickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Jesaja 42,3

Wenn in meiner Schulzeit Kinder nach der Schule auf dem Schulhof oder auf dem Nachhausweg ihre Konflikte ausgetragen und miteinander gerauft haben, dann war das Ende der Auseinandersetzung erreicht, wenn jemand auf dem Boden lag und sich nicht mehr wehren konnte. Man war dann Sieger oder Besiegter und der Kampf war zu Ende. Kein Nachtreten, keine Schläge gegen jemand, der schon am Boden lag. Heute scheint es diesen Ehrencodex nicht mehr zu geben. Auf vielen Videos sieht man jetzt, dass dem auf dem Bodenliegenden noch auf den Kopf getreten oder mit Fußtritten gegen den Körper geschlagen wird. Einen Wehrlosen zu treten – das ist grausam und unfair. Das geknickte Rohr zu zerbrechen oder den noch glimmenden Docht auszulöschen, das geht gar nicht. Wo noch Leben ist, muss es erhalten werden. Einen Wehrlosen muss man aufhelfen und nicht zu Boden drücken bis er keine Luft mehr bekommt. Diese Botschaft lässt Gott durch den Propheten seinem Volk im Babylonischen Exil mitteilen: Das gekickte Rohr wird Gott nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Die Exilierten kennen die Erfahrung des Untergangs und das Gefühl der totalen Hilflosigkeit. Die Heimat ist verloren, und damit die eigene Identität in Frage gestellt. Hoffnung und Zukunftsperspektiven sind aber für uns Menschen wichtig, um nicht im Untergangsszenario zu bleiben und wieder vorsichtige Schritte auf unsicherem Boden zu wagen. Das Schwache wird nicht weiter geschwächt. Die Rücksicht aufeinander und die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in einer ungnädigen Welt gewinnen wieder die Oberhand. Glaube und Hoffnung, damals wie heute. Ein gnädiger Gott in einer gnädigen Welt. Wir vertrauen darauf auch gegen den Augenschein und wissen zugleich, dass nicht alles wieder gut werden kann. Es bleiben Narben zurück und manchmal geht man humpelnd aus einem Kampf hervor, aber aufrecht und gestärkt. Das wünsche ich Ihnen.

Ihnen allen eine friedliche und segensreiche Woche!

Ihre Pfarrerin Heike-Andrea Brunner-Wild